Zu den menschlichen Grundeigenschaften zählen der Überlebenstrieb und der Reproduktionstrieb, aber auch der Machttrieb. Der Machttrieb ist darauf gerichtet, Kontrolle über andere Personen, Handlungen und Gegenstände zum eigenen Vorteil zu erlangen. Diese Kontrolle lässt sich umso leichter erreichen, je weniger Widerstand das Objekt dagegen aufbringt. Um selbst möglichst wenig Aufwand oder Gewalt dafür anzuwenden, gehen wir einen Deal mit dem zu Kontrollierenden ein. Dafür muss ein Preis seiner Kooperation festgelegt werden. Diese Übereinkunft über den Preis macht die Person, die Handlung oder den Handelsgegenstand zur Ware. Der Prozess wird Kommodifizierung genannt und steht gemeinsam mit dem je spezifischen Ethos am Beginn jedes wirtschaftlichen und sozialen Handelns.
„Alles hat seinen Preis“, Personen, Leistungen, Gegenstände. Manches hat durch ein eklatantes Machtgefälle einen deutlich niedrigeren „Preis“ als besser geschützte Güter. Derartige einseitige frühe „Kommodifizierungen“ stellten schon in der Frühzeit etwa der Sklavenhandel, die Zwangsarbeit und die Prostitution dar. „Teure“ Waren , die in der Regel nur durch den maximalen Gewaltaufwand des Krieges zu haben waren, stellten etwa Staatsschätze, Königstöchter oder die Kontrolle über Gebiete und Untertanen dar.
Die moderne, aber ebenfalls nicht gänzlich gewaltfreie Version der Kommodifizierung der Welt ist die Industrialisierung. Gegenstände und Leistungen, die von Personen handwerklich und persönlich erbracht werden, sind nur begrenzt kommodifizierbar, während solche, die von Maschinen produziert sind, vollständig kommodifiziert sind und unter totaler Kontrolle des Inhabers der Produktionsmittel stehen. Somit sind sie auch Teil ausgelebter Machttriebe, die ethisch positiv oder negativ wirken können.
Der uralte Kampf um Kontrolle hat sich bis heute kaum verändert. Daher gibt es auch seit jeher erheblichen gesellschaftlichen und individuellen Widerstand dagegen: Viele Personen wollen sich und ihre Arbeit nicht zur Ware machen lassen, viele Materialien, natürliche Prozesse und Ressourcen lassen sich technisch kaum standardisieren. Natur, Religion und Kunst sind daher die angestammten Domänen dieser Unkontrollierbarkeit.
Technische Standardisierung und Homogenisierung sind neben der Kommodifizierung weitere zentrale Voraussetzungen, alles zur (ver)handelbaren Ware machen zu können. Denn nur vergleichbare und möglichst gleichförmige Leistungen, Dinge und Personen lassen sich auch effizient als Ware produzieren, manipulieren, verkaufen und vermarkten – zum Nutzen oder Schaden humanen Fortschritts oder auch zum simplen Konsum.
Der Widerstand gegen die Kommodifizierung als Sinnverlust des Lebens wurde im 19. Jahrhundert in der Arts-and-Crafts-Bewegung ausgetragen (Morris), im 20. Jh. in der Lebensreformbewegung und im 21. in der globalen Digitalisierungskritik. Die Kommodifizierung von heute ist die Digitalisierung, die Leistungen und Dinge vereinheitlicht, standardisiert und in Algorithmen nahezu beliebig manipulier- oder nutzbar macht – auch dies zum Nutzen oder Schaden des Individuums.
Den Inbegriff des Widerstandes gegen die Vereinheitlichung der Welt stellt die Kunst dar. Sie ist sinnlich-materiell, wo der Alltag virtuell und digital ist, sie ist symbolisch, wo die Welt banal ist, sie vermittelt dem Künstler wie dem Betrachter individuellen Sinn und Freude, wo die Welt monoton ist, sie ist wertvoll, wo die Welt billig ist. Kunst ist Ausdruck und Quintessenz der menschlichen Sehnsucht nach Identität, Individualität und Identifikation.
Individuelle, kostbare Versinnlichung ist also der Königsweg der Emanzipation des Menschen von ethisch und technisch ungehemmten Wirkungen sozial unproduktiver Machttriebe, die sich etwa auch im Streben digitaler Konzerne nach umfassender Kontrolle der Kunden in ihren jeweiligen privaten Universen ausdrücken. Diese Angebote wirken jedoch auf einen Großteil der Nutzer attraktiv und keineswegs als Bevormundung. Stets ist auch die Effizienz- und Preisfrage wesentlich: physische Individualität ist teuer und hemmt potenziell rasche soziale Fortschritte, digitale Standardisierung ist effizient und hilft rasch.
Somit kommt es kulturell auf die „Rezeptur“ und die Mischung digitaler und realphysischer Elemente an, insbesondere im Kunstwerk. An dieser Rezeptur, dem speziellen „Granulat“ jedes Kunstwerks, das nicht nur ästhetisch-ethische, technische, geschmackliche und stimmmungsrelevante, sondern auch finanzielle Bewertungsfragen (Kosten und Preis) miteinschließt, misst sich die Qualität des Kunstwerks.